WK-kroniek 1974: Arrogantie, Nederlandse stijl

Im Waldhotel Krautkrämer, dem lustigen Teamquartier der Niederländer im Münsterland, wo Fans, Journalisten, Gäste, Schaulustige ein und aus gehen, ist es Rinus Michels an diesem Tag zu unruhig. 350 Tagungsteilnehmer vom Textilverband Nordrhein-Westfalen sind angekündigt, so flieht der „Bondscoach“ mit seiner Mannschaft nach Dortmund, wo man ein Kino besucht.

Und eine Bowlingbahn. Auf der bekommt vor allem Torwart Jan Jongbloed mehr zu tun als am Tag zuvor beim 4:0-Sieg gegen Argentinien. Nach neunzig Minuten hatte er in der Statistik einen einzigen Ballkontakt zu Buche stehen. Anders gesagt: Die Holländer hätten das Spiel wohl auch ohne Torwart gewonnen.

Inzwischen umweht das Team in Orange eine Aura, als habe es den Fußball neu erfunden. Unwiderstehlich kreiseln die Niederländer in einer Weise über den Platz, die nahezu jeden Gegner verwirrt – ebenso wie es die Rückennummern tun, die bei Cruyff & Co. konsequenterweise nicht wie üblich gemäß den Positionen vergeben wurden, die sie ja ständig wechseln, sondern nach dem Alphabet.

So trägt Jongbloed nicht die 1, sondern die 8. Cruyff allerdings, der nun eigentlich die 1 tragen müsste, behielt aus alter Gewohnheit die 14 – schon um zu zeigen, dass für ihn andere Regeln gelten als für normale Fußballer. Als einziger trägt er auch nicht die drei Streifen von Adidas auf dem Ärmel. Er trägt nur zwei, ein Kompromiss – sein persönlicher Sponsor ist der Adidas-Konkurrent Puma.

Seine Pressekonferenzen hält Cruyff gern, indem er sich in der Hotelbar auf einen Barhocker setzt, eine Zigarette anzündet und in mehreren Sprachen seine Meinung kundtut. Wie etwa die, dass ein Gerd Müller in der niederländischen Elf keinen Platz fände: „Der muss noch lernen, im Mittelfeld unterzutauchen und auf die Flügel auszuweichen.“

Das Selbstbewusstsein im Team ist mit Händen zu greifen. Schon vor dem ersten Spiel, als sie die orangefarbene Menschenwand Zehntausender Landsleute im Niedersachsenstadion in Hannover sahen, dachte Arie Haan: „Das kann nicht schiefgehen hier.“

Nun, nach dem furiosen Sieg gegen die Argentinier zum Start der Zwischenrunde, haben sie „vor keinem mehr Angst“, wie Wim van Hanegem sagt. Was soll schon passieren? Sie ahnen nicht, dass bald jemand, den sie noch nicht kennen, die heile Welt im Waldhotel und die famose Stimmung im Team gehörig stören wird.